In unserem hektischen Alltag scheint Stress für viele Menschen kein Ausnahmezustand mehr zu sein, sondern eine konstante Begleiterscheinung. Zwischen Deadlines, Meetings und familiären Verpflichtungen bewegen wir uns oft wie im Autopilot-Modus. Was ursprünglich als hilfreicher Überlebensmechanismus gedacht war, ist für viele zu einem chronischen Zustand geworden.
Statt Säbelzahntigern sind es heute Termindruck, ständige Erreichbarkeit und hohe Erwartungen, die unser inneres Alarmsystem in Dauerschleife versetzen. Doch wie können wir diesen Kreislauf durchbrechen? Ein Schlüssel liegt in der bewussten Wahrnehmung: Achtsamkeit
Unser Denken und Fühlen spielen dabei eine zentrale Rolle: Das kognitive System ermöglicht - unter vielen anderen wunderbaren Dingen - rationales Planen und Selbstkontrolle, während das somatische System – grob gesagt - für Emotionen und Instinkte zuständig ist. Beide Systeme kommunizieren über das sensorische System. Bei Stress werden die Kommunikationswege zwischen emotionalen und rationalen Gehirnregionen beeinträchtigt, wodurch Problemlösungsfähigkeit und Wohlbefinden sinken. Doch mit gezieltem Training können wir diese Muster durchbrechen.
Achtsamkeit als Fundament der Resilienz
Ein entscheidender Baustein von Resilienz ist Achtsamkeit – das bewusste, wohlwollende Wahrnehmen des gegenwärtigen Moments, ohne Bewertungen vorzunehmen. Diese Praxis ermöglicht es, Reize klar zu spüren, anstatt automatisch darauf zu reagieren. Besonders in Stresssituationen ist es hilfreich, innezuhalten und sich auf die Signale des Körpers zu fokussieren. Dabei wird das sensorische System aktiviert, wodurch die Kommunikation zwischen kognitivem und somatischem System wiederhergestellt werden kann.
Studien* zeigen, dass regelmäßige Achtsamkeitsübungen und mentales Training mit einer verbesserten Funktion und Struktur von Hirnregionen wie dem präfrontalen Cortex verbunden sein kann, was zu besserer Impulskontrolle, Kreativität und Empathie beiträgt. Dank der Neuroplastizität, also die Fähigkeit des Gehirns, sich durch Erfahrungen und Lernprozesse neu zu strukturieren und sich anzupassen.
Integration von Achtsamkeit im Alltag
Den Autopilot-Modus zu verlassen und bewusst Entscheidungen treffen: Der MIND-Ansatz von Esther und Johannes Narbeshuber (aus ‚Mindful Leader‘) bietet eine hilfreiche Struktur, um Achtsamkeit im Alltag zu integrieren und zu üben.
M: Moment – Einen Augenblick innehalten und sich bewusstwerden, was gerade passiert.
I: Innenschau – Die Signale des Körpers wahrnehmen und reflektieren, wie es einem geht.
N: Neue kreative Optionen – Möglichkeitsräume jenseits von Automatismen erkunden.
D: Dialogische Entscheidung – Eine Kompromisslösung finden, die sowohl rationale als auch emotionale Bedürfnisse berücksichtigt.
Die Integration solcher Ansätze im Alltag erfordert Übung und Disziplin. Achtsamkeit ist weit mehr als nur ein Werkzeug zur Stressbewältigung – sie ist der Schlüssel zu nachhaltiger Resilienz und innerer Balance. Achtsamkeitsübungen müssen individuell angepasst werden, da Faktoren wie Persönlichkeit, Stresslevel und Lebensumstände die Wirksamkeit beeinflussen können. Generell: Achtsamkeit fördert die Integration von Denken, Fühlen und Handeln, stärkt die Selbstwahrnehmung und ermöglicht nachhaltige Entscheidungen, die sowohl kognitiven als auch emotionalen Bedürfnissen gerecht werden.
Zum Weiterlesen: Narbeshuber E., Narbeshuber J. (2019). "Mindful Leader. Wie wir die Führung für unser Leben in die Hand nehmen können und uns Gelassenheit zum Erfolg führt.", O.W. Barth
*ReSource Project, Max Plank Institut: https://www.resource-project.org/
*Davidson, R.J./Schuyler, B.S. (2015): "Neuroscience of Happiness", in: World Happiness Report 2015 https://worldhappiness.report/
*Vestergaard-Poulsen, P., et al. (2009). "The underlying anatomical correlates of long-term meditation: Larger hippocampal and frontal volumes of gray matter." Proceedings of the National Academy of Sciences, 106(43), 18625–18630. doi: 10.1073/pnas.0901438106
*Lazar, S. W., et al. (2005). "Meditation experience is associated with increased cortical thickness." NeuroReport, 16(17), 1893-1897. doi: 10.1097/01.wnr.0000186598.66243.19